In den letzten Jahren ist die Präzisionsmedizin zu einem Mantra der Onkologie geworden. Sie prägt die ärztliche Denk- und Arbeitsweise: Stetig wird nach neuen Biomarkern im Blut und im Tumorgewebe gesucht, und neue Therapien werden mit großem Eifer diskutiert. Zu einem vergleichbaren Umsturz in der Krebsbehandlung hat auch die Immuntherapie geführt.
Aber haben Sie sich je gefragt, inwiefern die Präzisionsonkologie und die Immuntherapie miteinander im Konflikt stehen? In einem Kommentar auf dem Medizinportal Medscape schreibt Professor Bishal Gyawali, dass die Immuntherapie alles andere als präzise sei und dass das Paradigma der „richtigen Dosis zur richtigen Zeit beim richtigen Patienten“ bei der Immuntherapie nicht einmal ansatzweise befolgt werde.
Im vorliegenden Artikel werden wir uns mit den problematischen Aspekten der Immuntherapie befassen. Außerdem widmen wir uns aktuellen Informationen zu den Durchbrüchen, die bei der Behandlung von Brustkrebs gemacht und im letzten Dezember in den USA auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium vorgestellt wurden. Schließlich werden wir die neuen Perspektiven betrachten, die die Immuntherapie beim Leberkarzinom bietet.
Probleme der Immuntherapie
Immuntherapie von Patienten – sind es zu viele?
„Bei der Immuntherapie gibt es keine Biomarker, die eine Prognostizierung des Ansprechens oder der Toxizität ermöglichen. Einige Patienten ziehen einen langfristigen Nutzen aus der Behandlung, andere wiederum gar keinen. Hinzu kommt, dass auf dem Gebiet der Biomarker ein heilloses Durcheinander herrscht“, so Gyawali. Und den Biomarker PD-L1 für die klinische Entscheidungsfindung zu nutzen, sei schlimmer, als überhaupt nicht auf Biomarker zurückgreifen zu können, da dieser Biomarker Präzision lediglich vorspiele, führt Gyawali weiter aus.
Laut Professor Gyawali sei die Erforschung der adjuvanten Immuntherapie noch problematischer. Einige Patienten, die eine Immuntherapie erhielten, würden nicht rezidivieren und benötigten daher überhaupt keine adjuvante Therapie, während es bei anderen trotz Behandlung zu einem Rezidiv komme. „Unser aktueller Ansatz besteht darin, allen Patienten eine Immuntherapie zukommen zu lassen und zu hoffen, dass nur ein geringer Prozentsatz rezidiviert.“
Dauern Studien zur adjuvanten Immuntherapie zu lange?
Studien zur adjuvanten Immuntherapie können ein bis drei Jahre dauern, häufig ohne Erfassung von Daten zum Gesamtüberleben. Eine solche Dauer stellt eine beträchtliche Belastung für die Patienten dar. Professor Gyawali und seine Kollegen haben dies in ihren eigenen Forschungsarbeiten nachweisen können.
„Wir wollten eine Grundlage für die Behandlungsdauer herausarbeiten, konnten aber keine finden – überraschend ist das nicht“, schreibt Gyawali. Bei metastasierten Krebserkrankungen sei die Situation noch unüberschaubarer. „Wie sonst erklären wir uns, dass manche Patienten die Therapie aufgrund von schweren Nebenwirkungen absetzen, während das Ansprechen auf die Behandlung noch lange Zeit fortbesteht?“, so Professor Gyawali.
Werden Immuntherapien zu hoch dosiert?
Professor Gyawali ist der Ansicht, dass Immuntherapien in unnötig hohen Dosierungen angewendet werden, obwohl in zahlreichen Studien nachgewiesen worden sei, dass keine Dosis-Wirkungs-Beziehung bestehe. Zudem sei in einigen Studien bereits gezeigt worden, dass niedrigere Dosierungen einen Nutzen in Hinblick auf das Überleben entfalteten. Gyawali ist überzeugt, dass es noch mehr derart angenehmer Überraschungen geben könnte, wenn verstärkt in diese Richtung geforscht würde.
Behandlung mit Doppeldosen
Um ihre Patienten während der COVID-19-Pandemie besser zu schützen, verlängerten Onkologen u. a. die Behandlungsintervalle, z. B. von 3 auf 6 Wochen. Als Reaktion auf diese Praxis wurden Doppeldosen auf den Markt eingeführt, obschon es keine Korrelation zwischen der Dosis und dem Ansprechen auf die Immuntherapie gebe, meint Gyawali. Er ist überzeugt, dass hier eine einmalige Gelegenheit verpasst worden sei. Für viele Patienten ist die Immuntherapie in der Tat weltbewegend. Dennoch ist Gyawali der Ansicht, dass der Fokus darauf gelegt werden müsse, zu verstehen, wann die Immuntherapie für die Patienten am besten ist.
„Wir müssen uns mit der Ironie der Präzisionsmedizin auseinandersetzen – der Ironie, dass unsere vielversprechendsten Behandlungen auch die unpräzisesten sind“, hebt Professor Gyawali hervor.
San Antonio: Durchbruch bei der Behandlung von aggressivem Brustkrebs
Auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium wurden im vergangenen Dezember die Ergebnisse der ersten randomisierten Studie vorgestellt, in der die Kombinationstherapie mit Ribociclib (Handelsname: Kisqali), einem Inhibitor der zyklinabhängigen Kinasen 4 und 6 (CDK4/6), plus Hormontherapie bei prä- und perimenopausalen Patientinnen mit aggressivem fortgeschrittenem HR+-HER2--Mammakarzinom direkt mit einer Kombinations-Chemotherapie verglichen wurde.
„Bei jüngeren Patientinnen sind aggressive Mammakarzinome häufig therapieresistent, weshalb das Behandlungsergebnis ungünstiger sein kann. Daher ist es ermutigend, dass Ribociclib plus Hormontherapie im Vergleich zur Chemotherapie einen Ein-Jahres-Behandlungsnutzen gezeigt hat. Patientinnen unter Ribociclib zeigten weniger Nebenwirkungen, wie Durchfall und Fatigue, als Patientinnen unter der Chemotherapie. Dies könnte bedeuten, dass die Lebensqualität bei diesen Patientinnen besser ist. In Anbetracht dieser verbesserten Behandlungsergebnisse und der Verträglichkeit der Kombination Ribociclib plus Hormontherapie sollten wir diese Therapieoption auch bei Patientinnen mit aggressiven Formen des fortgeschrittenen HR+-HER2--Mammakarzinoms in Betracht ziehen“, gab Dr. Yen-Shen Lu nach der Präsentation der Ergebnisse der klinischen Prüfung RIGHT Choice zu Bedenken.
Die klinische Prüfung RIGHT Choice
Bei RIGHT Choice handelt es sich um eine prospektive, randomisierte klinische Phase-II-Studie bei Patientinnen mit einer aggressiven Form des fortgeschrittenen HR+-HER2--Mammakarzinoms, darunter Patientinnen mit viszeraler Krise, rasch progredierender und hochsymptomatischer Erkrankung, die die Kombination Ribociclib plus Hormontherapie oder aber eine Kombinationschemotherapie nach ärztlichem Ermessen erhielten.
Das progressionsfreie Überleben (progression-free survival, PFS) unter Ribociclib plus Hormontherapie war fast 1 Jahr länger als unter der Chemotherapie und belegte die überlegene Wirksamkeit von Kisqali in dieser Patientenpopulation.
San Antonio: Neue Daten zu Gunsten von Abemaciclib in der Behandlung des frühen Mammakarzinoms
Laut aktualisierten Daten zeigte Abemaciclib (Handelsname Verzenios), ein Inhibitor der zyklinabhängigen Kinasen 4 und 6 (CDK4/6), bei Patienten mit hormonabhängigem HER2-negativem lymphknotenpositivem frühem Mammakarzinom mit hohem Rezidivrisiko einen noch größeren klinischen Nutzen, wenn es als adjuvante Therapie in Kombination mit einer Hormontherapie angewendet wurde. Die aktualisierten Daten wurden letzten Dezember in den USA auf dem San Antonio Breast Cancer Symposium vorgestellt.
Es gilt zu beachten, dass Verzenios in Kombination mit einer Hormontherapie angezeigt ist für die adjuvante Therapie bei erwachsenen Patientinnen und Patienten mit hormonpositivem und HER2-negativem frühem Mammakarzinom mit positiven Lymphknoten und hohem Rezidivrisiko.
Analyse nach einer medianen Beobachtungsdauer von 3,5 Jahren
Die Daten beinhalten aktualisierte Ergebnisse der Analyse nach einer medianen Beobachtungsdauer von 3,5 Jahren bei Patienten, die die zweijährige Abemaciclib-Therapie abgeschlossen (oder sogar abgebrochen) haben. Verzenios sollte 2 Jahre lang durchgängig angewendet werden bis zum Auftreten eines Rezidivs oder einer unzumutbaren Toxizität. Die Verbesserung des Überlebens ohne invasive Erkrankung sowie des fernrezidivfreien Überlebens ist nach 4 Beobachtungsjahren sogar noch ausgeprägter als die Raten nach 2 bzw. 3 Jahren.
Der Nutzen wurde – unabhängig vom Ki-67-Status – in allen Untergruppen beobachtet. Zwar sind die Daten zum Gesamtüberleben noch nicht ausgereift, doch wurden in der Studiengruppe unter Abemaciclib plus Hormontherapie weniger Todesfälle beschrieben als in der Studiengruppe unter der alleinigen Hormontherapie. Neue Sicherheitserkenntnisse traten nicht zutage, und die Sicherheitsdaten entsprechen dem bereits belegten Sicherheitsprofil.
Welchen klinischen Nutzen hat diese adjuvante Therapie?
„Die Ergebnisse der Studie monarchE liefern weitere Evidenz für den klinischen Nutzen der adjuvanten Therapie mit Abemaciclib in Kombination mit der Standard-Hormontherapie bei Patienten mit frühem Hochrisiko-Mammakarzinom – einer Patientenpopulation, in der ein dringender Bedarf an einer Intensivierung der Therapie besteht. Dieser Nutzen ist nach 4 Jahren – also lange nach dem zweijährigen Therapieschema mit adjuvantem Abemaciclib – noch größer“, so Prof. Stephen Johnston vom Royal Marsden NHS Foundation Trust in London, Hauptprüfer der Studie monarchE.
Neue Perspektiven für die Immuntherapie von Leberkrebs
Belastbare Daten aus der Phase-III-Studie HIMALAYA, in der die Kombination der monoklonalen Antikörper Tremelimumab und Durvalumab (beide von AstraZeneca) geprüft wurde, zeigten eine Senkung des Sterberisikos um 22 % gegenüber Sorafenib. Diese Kombination wurde bei Patienten mit inoperablem Leberzellkarzinom – der häufigsten Form von Leberkrebs – geprüft.
Auf der Grundlage dieser Daten hat die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) die Therapie für diese Patienten bereits Ende Oktober letzten Jahres zugelassen. Es handelt sich um die Kombination eines Anti-CTLA-4- und eines Anti-PD-L1-Antikörpers in einem besonderen Therapieschema, das als STRIDE bezeichnet wird: Dabei wird zusätzlich zur regelmäßigen, in vierwöchigen Abständen erfolgenden Anwendung des Anti-PD-L1-Antikörpers eine Einzeldosis des Anti-CTLA-4-Antikörpers verabreicht.
Die Kombination wurde kürzlich von europäischen Aufsichtsbehörden für die Zulassung als Erstlinientherapie bei Patienten mit fortgeschrittenem oder inoperablem Leberzellkarzinom und fortgeschrittenem Lungenkrebs empfohlen. In den USA wurde die Therapie in Kombination mit einer Chemotherapie im November letzten Jahres auch für Patienten mit fortgeschrittenem nichtkleinzelligem Bronchialkarzinom zugelassen.
Mediately – für und mit Onkologen
Die Mediately-App ist ein Online-Arzneimittelregister, in dem Ärzte auf vollständige, stets aktuelle Datenbanken zu den in Deutschland erhältlichen Arzneimitteln zugreifen können. Onkologen können die App unter anderem nach neuen Arzneimitteln durchsuchen, die für ihre klinische Tätigkeit relevant sind, z. B. nach Checkpoint-Inhibitoren samt deren aktuellsten Anwendungsgebieten und Anwendungsschemata. Mit Hilfe der App können Ärzte auch ohne Internetverbindung stets auf Informationen zu Arzneimitteln zugreifen.